Ein spezialisiertes Festival der Hofhaymer-Gesellschaft in Salzburg widmete sich der Alten Musik und den Ursprüngen der europäischen Mehrstimmigkeit. Unter der Leitung des Baritons und Schlagzeugers Philipp Lamprecht fanden in der Erhardkirche im Nonntal Konzerte statt, die ein kleines, aber sachkundiges Publikum anzogen. Renommierte Künstler wie die Mittelalter-Spezialistin Sabine Lutzenberger und ihr Ensemble PER:SONAT präsentierten musikalische Rekonstruktionen aus dem 9. bis 11. Jahrhundert.
Wichtige Erkenntnisse
- Das von Philipp Lamprecht organisierte Festival konzentrierte sich auf die frühe Mehrstimmigkeit und mittelalterliche Musik.
- Die international anerkannte Expertin Sabine Lutzenberger trat mit ihrem Ensemble PER:SONAT auf.
- Ein weiterer Schwerpunkt war die musikalische Interpretation des Nibelungenlieds durch Philipp Lamprecht.
- Die Erhardkirche und ihre Krypta dienten als atmosphärische Veranstaltungsorte für die Konzerte.
Ein Festival für Kenner in historischem Ambiente
In Salzburg fand kürzlich eine Reihe von Konzerten statt, die sich einem besonderen musikalischen Erbe widmeten. Philipp Lamprecht, ein anerkannter Spezialist für Alte Musik, lud im Rahmen der Hofhaymer-Gesellschaft zu den jährlichen Festtagen ein. Diese Veranstaltung ist bekannt für ihren Fokus auf Nischenprogramme, die abseits des Mainstreams liegen.
Die Konzerte wurden in der Erhardkirche im Nonntal abgehalten, einem Ort, der eine passende Kulisse für die historischen Klänge bot. Trotz der hohen Qualität der eingeladenen Künstler, wie der international gefragten Sabine Lutzenberger, blieb der Zuhörerkreis überschaubar. Am Freitagabend versammelten sich weniger als zwei Dutzend Musikliebhaber, was den exklusiven Charakter des Festivals unterstrich.
Die Hofhaymer-Gesellschaft
Die Paul-Hofhaymer-Gesellschaft Salzburg widmet sich der Pflege und Aufführung von Musik aus Mittelalter, Renaissance und Barock. Benannt nach dem Organisten und Komponisten Paul Hofhaimer (1459–1537), der in Salzburg wirkte, veranstaltet sie regelmäßig Konzerte mit spezialisierten Ensembles und fördert die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Alter Musik.
Die Ursprünge der Mehrstimmigkeit
Ein zentrales Thema des Festivals war die Entstehung der Mehrstimmigkeit in der europäischen Musik. Das Ensemble PER:SONAT unter der Leitung von Sabine Lutzenberger begab sich auf eine musikalische Spurensuche, die bis ins frühe Mittelalter zurückreichte.
Die Grundlage bildete der einstimmige Gregorianische Choral, der sich im 8. und 9. Jahrhundert entwickelte. Erst im 11. Jahrhundert wurde eine Notenschrift erfunden, die exakte Tonhöhen wiedergeben konnte. Zuvor dienten sogenannte Neumen lediglich als Gedächtnisstütze für Melodien, die auswendig gelernt werden mussten.
Von der Einstimmigkeit zum Organum
Die Entwicklung zur Mehrstimmigkeit verlief langsam. Eine der frühesten Formen war das „Organum“, bei dem Stimmen parallel zueinander geführt wurden. Eine wichtige Quelle für die Interpretation dieser Musik ist die Schrift „Musica enchiriadis“, die um 900 in einem Kloster im heutigen Ruhrgebiet entstand.
Diese historischen Dokumente lassen jedoch einen erheblichen Interpretationsspielraum. Sabine Lutzenberger und ihr Ensemblekollege Marc Lewon nutzten diesen Freiraum, um eine lebendige und überzeugende Klangwelt zu schaffen. Ihre Aufführungen sind fundierte Hypothesen darüber, wie diese Musik geklungen haben könnte.
Was sind Neumen?
Neumen sind die Vorläufer der modernen Notenschrift. Sie wurden ab dem 9. Jahrhundert verwendet, um den Melodieverlauf des Gregorianischen Chorals aufzuzeichnen. Frühe Neumen zeigten nur die Richtung der Melodie (aufwärts oder abwärts), aber keine genauen Tonhöhen oder Rhythmen an. Sie waren eine Gedächtnisstütze für Sänger, die die Melodien bereits kannten.
Historische Instrumente und vokale Meisterschaft
Ein besonderes Merkmal der Konzerte war der Einsatz von nach historischen Vorbildern rekonstruierten Instrumenten. Marc Lewon spielte auf einer Knieharfe, einer karolingischen Cythara und einer Citole. Diese Instrumente, nachgebildet anhand von Abbildungen aus der Zeit, verliehen der Musik eine authentische Klangfarbe.
Im Mittelpunkt stand jedoch der Gesang. Sabine Lutzenberger präsentierte selten gehörte Werke, darunter Vertonungen von Gedichten des antiken Dichters Horaz aus dem 11. Jahrhundert. Diese Stücke zeigten, wie schon lange vor der Schubert-Zeit komplexe rhetorische und erzählerische Elemente in der Musik umgesetzt wurden.
„Die Stimmen von PER:SONAT verschmelzen ganz wunderbar. Sabine Lutzenberger ist gewiss die Ausdrucks-Meisterin, aber ihre vokalen Mitstreiterinnen Sarah H. Newman, Tobie Miller und Karin Weston stehen ihr als Liedgestalterinnen nicht nach.“
Die Sängerinnen des Ensembles bewiesen ein tiefes Verständnis für die Gestaltung der mittelalterlichen Lieder. Marc Lewons instrumentale Begleitung wurde als rhythmisch und energiegeladen beschrieben, was die Vorstellung unterstreicht, dass auch die Troubadoure des Mittelalters virtuose Musiker waren.
Das Nibelungenlied und zeitgenössische Bezüge
Festivalleiter Philipp Lamprecht trat auch selbst als Interpret auf. Er widmete sich in einem eigenen Konzert dem Nibelungenlied, einem Feld, das in den letzten Jahrzehnten musikwissenschaftlich weniger Beachtung fand. Lamprecht begleitete seinen Gesang selbst auf verschiedenen Instrumenten, von der Drehleier bis zu kleinen Glöckchen.
Seine Arbeit knüpft an frühere Forschungen von Eberhard Kummer und dem Salzburger Germanisten Ulrich Müller an, führt diese aber mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen weiter. Die fachliche Beratung für dieses Projekt übernahm die Germanistin Ingrid Bennewitz.
Das Festival schlug auch eine Brücke zur Gegenwart. Der Komponist Herbert Grassl schuf eine Neufassung eines seiner Stücke speziell für Philipp Lamprecht, die im Rahmen der Festtage aufgeführt wurde.
Die Krypta als besonderer Konzertort
Neben dem Kirchenraum wurde auch ein ungewöhnlicher Ort für Musik genutzt: die Krypta unter der Erhardkirche. Dieser stimmungsvolle Raum diente nicht nur als Treffpunkt für Gespräche nach den Konzerten bei einem Glas Wein.
Hier fanden auch Auftritte des Salzburger Vokalensembles „voices unlimited“ und des Hofhaymer Instrumentalensembles statt. Die besondere Akustik und die intime Atmosphäre der Krypta trugen maßgeblich zum Gesamterlebnis des Festivals bei und schufen eine direkte Verbindung zwischen Künstlern, Publikum und der historischen Musik.





