Die Suche nach Verständigung im Nahostkonflikt bleibt eine Herausforderung. Angesichts der anhaltenden Spannungen nach den Ereignissen vom 7. Oktober und dem israelischen Vorgehen in Gaza scheint eine Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern in weiter Ferne. Dennoch gibt es Menschen, die sich aktiv für den Dialog einsetzen. Die Salzburger Nachrichten veranstalten gemeinsam mit dem Landestheater eine Podiumsdiskussion, um diesen Stimmen eine Plattform zu bieten und einen Raum für offene Gespräche zu schaffen.
Wichtige Erkenntnisse
- Der Nahostkonflikt ist tief verwurzelt und betrifft Menschen auf beiden Seiten.
- Trotz verhärteter Fronten suchen einige Personen aktiv den Dialog und die Verständigung.
- Eine Podiumsdiskussion in Salzburg bringt unterschiedliche Perspektiven zusammen.
- Die Teilnehmer betonen die Notwendigkeit von Empathie und differenzierter Betrachtung.
Die Schwierigkeit des Dialogs in Krisenzeiten
In Zeiten akuter Konflikte fällt es vielen Menschen schwer, die Perspektive der Gegenseite zu verstehen. Oftmals dominieren feste Überzeugungen, die wenig Raum für Zuhören lassen. Diese Verhärtung der Fronten ist nicht nur im Nahen Osten sichtbar, sondern prägt auch globale Diskussionen, von privaten Gesprächen bis hin zu internationalen Foren wie der UNO-Vollversammlung.
Die aktuelle Lage ist geprägt von israelischen Maßnahmen, die das Leben der Palästinenser in Gaza erschweren und den Siedlungsbau im Westjordanland massiv vorantreiben. Israels Finanzminister Bezalel Smotrich äußerte sich dazu klar: „Wenn ihr einen palästinensischen Staat einseitig anerkennt, werden wir nichts mehr zum Anerkennen übrig lassen.“
Faktencheck
- Über 20 Geiseln befinden sich weiterhin im Gazastreifen.
- Die Hamas verweigert die Übergabe der sterblichen Überreste von 30 weiteren Verschleppten.
- Leid und Traumata sind auf beiden Seiten des Konflikts weit verbreitet.
Ein Forum für Zwischentöne
Die Salzburger Nachrichten und das Landestheater Salzburg möchten dieser polarisierten Debatte entgegenwirken. Sie laden am Montag, dem 29. September, um 19 Uhr zu einer Podiumsdiskussion in den SN-Saal ein. Ziel ist es, einen Raum zu öffnen, in dem „ehrlich und angstfrei gesprochen werden kann“, wie die Veranstalter betonen. Der Eintritt beträgt 10 Euro, eine Anmeldung ist unter www.sn.at/reservierung erforderlich.
Perspektiven der Podiumsgäste
Die Diskussion bringt verschiedene Stimmen zusammen, die jeweils eine einzigartige Sicht auf den Konflikt haben.
Vladimir Vertlib: Zionist mit Empathie
Vladimir Vertlib, ein jüdisch-russischer Autor, lebt in Salzburg und Wien. Er bezeichnet sich selbst als Zionist, betont aber gleichzeitig sein Engagement für eine Zweistaatenlösung und die Rechte der Palästinenser. „Ich bin Zionist, weil ich der Meinung bin, dass es einen jüdischen Staat im Nahen Osten geben soll, dass jüdisches Leben ohne die Existenz Israels überall auf der Welt noch gefährdeter wäre“, erklärt Vertlib. Dies hindert ihn nicht daran, Empathie für alle Opfer des Konflikts zu empfinden und sich gegen die Idee eines Groß-Israels auszusprechen.
„Menschen, die sich um eine differenzierte Mitteposition bemühen, machen sich in Zeiten wie diesen meist unbeliebt.“
Vertlib sieht seine Aufgabe darin, aufklärerisch zu wirken und mit Jugendlichen Klischees und Vorurteile abzubauen. Er räumt ein, dass dies oft einer Sisyphusarbeit gleicht, da es selten gelingt, jemanden zu überzeugen. Dennoch lernt er aus diesen Gesprächen viel. Er kritisiert auch die israelische Politik, insbesondere die der Regierung Netanjahu, und weist darauf hin, dass die schärfste Kritik oft aus jüdischen Kreisen in Israel selbst kommt. Hunderttausende demonstrieren in Tel Aviv gegen die aktuelle Regierung und den Gaza-Krieg.
Hanan Badr: Ägyptische Wissenschaftlerin beleuchtet Erzählungen
Hanan Badr, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg, wuchs in Ägypten auf und forschte zum Thema. Sie betont die unterschiedlichen Narrative des Konflikts. Im arabischen Raum werde die Geschichte Palästinas vor 1948 und die Vertreibung der Palästinenser betont. Dieser Aspekt sei im deutschsprachigen Diskurs oft ein „blinder Fleck“, da dieser stark von der Erinnerungskultur und den Naziverbrechen geprägt sei.
Hintergrundinformationen
Die Berichterstattung über den Nahostkonflikt ist oft verkürzt und verwendet Schlagworte wie „Krisenherd“ oder „Pulverfass“. Dies erschwert eine umfassende Darstellung der komplexen historischen und politischen Zusammenhänge.
Badr erklärt, dass es im Kern um einen territorialen Kampf geht, in dem Menschen ein kleines Land teilen müssen. Die Anerkennung Palästinas durch europäische Länder sei ein Schritt in die richtige Richtung. Sie betont: „Die Existenz eines Staates sollte nicht der Existenz eines anderen Staates schaden. Und: Hat Palästina ein Existenzrecht?“
Nuran David Calis: Theater als Brücke
Nuran David Calis, Schauspielchef am Salzburger Landestheater, bringt ab Oktober das Stück „Die Tore von Gaza“ des israelischen Autors Amir Tibon auf die Bühne. Sein Ziel ist es, durch Kunst „Verschüttgegangenes mit aller Kraft über einen künstlerischen Weg wieder sichtbar zu machen“.
Calis berichtet von Reaktionen im Vorfeld, die eine Pauschalisierung des Konflikts zeigen. Er hebt hervor, dass Amir Tibon, obwohl er und seine Familie „durch die totale Hölle“ gegangen sind, eine der stärksten Fürstimmen für die palästinensische Sache ist. Diese Nuance sei wichtig zu vermitteln, ebenso wie die Tatsache, dass in Israel alle drei Tage hunderttausende Menschen gegen Netanjahus Politik protestieren.
Er hofft, dass die Zuschauer ihre vorgefertigten Meinungen überprüfen und eine gemeinsame Solidarität und Allianz für beide Völker entsteht. „Der Theaterraum soll für palästinensische Stimmen genauso ein Safe Space sein wie für jüdische Stimmen“, so Calis. Es gehe darum, eine komplexe Erzählung zu präsentieren, die es dem Publikum ermöglicht, sich eine eigene, differenzierte Meinung zu bilden.
Nadine Sayegh: Palästinensische Identität und die Suche nach Gerechtigkeit
Nadine Sayegh, in Beirut geboren, in Wien aufgewachsen, ist Unternehmerin und Autorin palästinensischer Abstammung. Sie beschreibt die Schwierigkeit, in ihrer Jugend in Wien ihre palästinensische Identität offen zu leben. Assoziationen mit Palästina waren oft negativ, verbunden mit Krieg und Terrorismus, während der Libanon als „Schweiz des Orients“ galt.
Heute bekennt sie sich offen zu ihrer palästinensischen Herkunft und nimmt eine neue Empathie wahr. „Es gibt eine Empörung darüber, dass Israel tun kann, was es will, und es niemand stoppt“, sagt Sayegh. Sie beklagt die hohe Zahl palästinensischer ziviler Opfer, die „unerhört im 21. Jahrhundert“ sei. Sayegh fordert einen Dialog und betont, dass Demonstrationen in Wien, an denen sie teilnimmt, nicht die Auslöschung Israels zum Ziel haben, sondern Gerechtigkeit und eine Lösung für die fünf Millionen Palästinenser. „Was wir wollen, ist Gerechtigkeit und eine Lösung für die fünf Millionen Palästinenser.“
Esther Dischereit: Jüdische Kritik an israelischer Politik
Esther Dischereit, Lyrikerin und Essayistin jüdischer Abstammung, distanziert sich von Milieus, die das Vorgehen Israels uneingeschränkt befürworten. Sie betonte bereits im November 2023 ihre Haltung mit dem Schild „Not in my name“. Dischereit kritisiert die Annahme, dass jüdische Menschen automatisch loyal zum Staat Israel stehen müssen. Sie sieht dies als Teil eines „florienden Antisemitismus“, der jüdisches Leben auf ein nationales Konstrukt reduziert.
Sie nahm an einer von jüdischen Menschen organisierten Demonstration gegen die Netanjahu-Politik teil. Ihre Erfahrungen zeigen, dass Meinungsfreiheit in diesem Kontext eingeschränkt wird. „Dinge, die vorher unter Meinungsfreiheit fielen, sind plötzlich strafbewehrt“, so Dischereit, die auf Fälle von Strafanzeigen und Ausstellungsstornierungen verweist.
Tarik Mete: Macht statt Glaube im Konflikt
Tarik Mete, SPÖ-Politiker mit türkischen Wurzeln, engagiert sich gegen Rassismus. Er merkt an, dass der Konflikt auf den ersten Blick religiös erscheint, aber im Grunde um Land und Macht geht. „Es geht um Macht und um den Machterhalt von Politikern“, so Mete. Er betont, dass ein österreichischer Politiker dies kritisieren kann, ohne antisemitisch zu sein.
Mete beklagt, dass selbst humanitäre Hilfe blockiert wird. Er nutzt seine Reichweite in den sozialen Medien, um das Bewusstsein für eine Zweistaatenlösung zu stärken. Die Hamas verurteilt er dabei klar: „Das ist eine Terrororganisation, die zu verurteilen ist. Was da passiert ist, ist in keinster Weise rechtfertigbar. Punkt.“
Fazit: Die Suche nach Verständigung
Die Podiumsdiskussion in Salzburg bietet eine Plattform für komplexe und oft widersprüchliche Perspektiven auf den Nahostkonflikt. Die Teilnehmer zeigen, dass es trotz tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten den Wunsch gibt, Brücken zu bauen und einen Weg zu finden, der Leid auf allen Seiten mindert und eine gerechte Lösung anstrebt. Das Zuhören und die Bereitschaft zur Differenzierung sind dabei entscheidende Schritte.





