In Österreich leisten rund 950.000 Menschen unbezahlte Pflegearbeit für ihre Angehörigen und bilden damit das Fundament des gesamten Pflegesystems. Eine Fachtagung des Hilfswerks in Puch bei Salzburg hat nun die zunehmend kritische Situation beleuchtet: Während die Zahl der Pflegebedürftigen stetig wächst, sinkt die Zahl der verfügbaren Helfer. Dies führt zu einer enormen Belastung, die vor allem von Frauen getragen wird.
Das Wichtigste in Kürze
- Demografischer Druck: Die Zahl der Pflegebedürftigen in Salzburg stieg von 17.000 (2001) auf 26.000 (2021).
- Hohe Belastung: Drei von vier pflegenden Angehörigen fühlen sich stark oder sehr stark belastet.
- Frauen tragen die Hauptlast: Laut einer aktuellen Studie sind 75 % der pflegenden Angehörigen Frauen, oft im Alter um die 60 Jahre.
- Forderung nach Unterstützung: Es besteht ein dringender Bedarf an mehr Entlastungsangeboten wie Kurzzeitpflege und Tageszentren sowie weniger Bürokratie.
Eine wachsende Lücke im Pflegesystem
Die demografische Entwicklung stellt das Pflegesystem in Salzburg vor eine große Herausforderung. Gernot Filipp von der Landesstatistik Salzburg präsentierte bei der Tagung alarmierende Zahlen. Die Zahl der pflegebedürftigen Personen im Bundesland ist innerhalb von 20 Jahren um mehr als 50 % gestiegen – von rund 17.000 im Jahr 2001 auf 26.000 im Jahr 2021. Experten gehen von einem weiteren starken Anstieg aus.
Gleichzeitig wird die Gruppe potenzieller Helfer aus dem familiären Umfeld immer kleiner. „Weniger Kinder, mehr Einpersonenhaushalte und die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen bedeuten, dass Angehörige immer seltener verfügbar sind“, erklärte Filipp. Diese Schere zwischen steigendem Bedarf und sinkenden Ressourcen macht die Situation zunehmend prekär.
Demografische Fakten
Die gesellschaftlichen Veränderungen führen dazu, dass das traditionelle Modell der Familienpflege an seine Grenzen stößt. Die sogenannte „demografische Welle“ ist laut Experten keine Zukunftsfrage mehr, sondern bereits Realität.
Das Gesicht der Pflege: Wer leistet die Arbeit?
Wer sind die Menschen, die diese unverzichtbare Arbeit leisten? Eine vom Hilfswerk Salzburg beauftragte Studie von Armin Mühlböck zeichnet ein klares Bild. Drei Viertel der pflegenden Angehörigen sind Frauen, deren Durchschnittsalter bei etwa 60 Jahren liegt. Viele von ihnen bewältigen die Pflegeaufgaben täglich, oft mehrmals am Tag, zusätzlich zu ihrem eigenen Beruf, der Kindererziehung und dem Haushalt.
Mehr als nur Pflege
Die Aufgaben gehen weit über medizinische Tätigkeiten hinaus. Im Vordergrund stehen alltägliche Hilfestellungen wie Kochen, Hausarbeiten erledigen, bei der Körperpflege helfen und vor allem, soziale Isolation zu verhindern. „Dahinter steckt unglaublich viel Zeit, Energie und emotionale Stärke“, betonte Mühlböck bei der Präsentation seiner Ergebnisse.
Die Konsequenzen dieser Dauerbelastung sind gravierend. Laut der Studie fühlen sich drei von vier Befragten stark belastet, ein Drittel gibt sogar an, sehr stark belastet zu sein. Dies unterstreicht die Dringlichkeit, wirksame Unterstützungsstrukturen zu schaffen.
„Pflegende Angehörige sind die größte Pflegekraft unseres Landes und doch werden sie oft übersehen.“
Zwischen Pflichtgefühl und Überforderung
Trotz der enormen Herausforderungen zeigen viele pflegende Angehörige einen ungebrochenen Willen, für ihre Familienmitglieder da zu sein. Viele gaben in der Befragung an, dass sie die Pflege auch langfristig leisten könnten – allerdings nur, wenn die Rahmenbedingungen verbessert werden.
Ganz oben auf der Wunschliste stehen konkrete Entlastungsangebote. Dazu gehören vor allem:
- Zugang zu Kurzzeitpflegeplätzen, um eine Pause einlegen zu können.
- Mehr Tageszentren zur Betreuung während des Tages.
- Bessere Möglichkeiten, Pflege und Berufstätigkeit zu vereinbaren.
- Weniger bürokratische Hürden bei Anträgen, zum Beispiel für das Pflegegeld.
Martin Nagl-Cupal von der Universität Wien bezeichnete die Angehörigen treffend als „den größten Pflegedienst der Nation“. Er warnte jedoch auch davor, dass diese Gruppe selbst ein hohes Risiko für gesundheitliche Probleme durch Überlastung trägt.
Herausforderungen aus der Praxis
In der Diskussion wurde deutlich, dass die Digitalisierung nicht für jeden eine Hilfe ist. Viele ältere Menschen sind mit Online-Formularen überfordert. Zudem spielt Scham eine große Rolle: Betroffene geben oft an, Dinge noch selbst erledigen zu können, obwohl dies nicht mehr der Fall ist, was die Beantragung von Pflegegeld erschwert.
Politik und Gesellschaft sind gefordert
Christian Struber, Präsident des Hilfswerks Salzburg, betonte, dass es nun an der Zeit sei zu handeln. Das Hilfswerk plant einen Ausbau seiner Angebote, von Tageszentren über Kurzzeitpflege bis hin zu niederschwelligen Beratungsstellen. Doch das allein reiche nicht aus.
„Auch die Politik ist gefordert, mit klarer finanzieller Absicherung und weniger Bürokratie“, so Struber. Es brauche eine breite gesellschaftliche Anerkennung für die unbezahlbare Leistung, die pflegende Angehörige tagtäglich erbringen. Sie verdienen Sichtbarkeit, Wertschätzung und vor allem konkrete Entlastung.
Die Fachtagung hat gezeigt, dass pflegende Angehörige das Rückgrat des Systems sind. Ohne eine deutliche Stärkung ihrer Position droht dieses Fundament unter der wachsenden Last zusammenzubrechen. „Die demografische Welle rollt – wir müssen jetzt handeln“, mahnte Gernot Filipp abschließend.





