Nach Bekanntwerden von Gewalt- und Missbrauchsvorwürfen an mehreren Standorten des SOS-Kinderdorfes fordert die Salzburger Kinder- und Jugendanwaltschaft (kija) weitreichende Konsequenzen. Jugendanwältin Johanna Fellinger verlangt die Einführung verpflichtender Kinderschutzkonzepte für alle Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, um den Schutz von Minderjährigen systematisch zu verbessern.
Die Forderungen kommen zu einer Zeit, in der die Organisation selbst Verbesserungen im Opferschutz angekündigt hat. Die Debatte rückt die strukturellen Bedingungen in den Fokus, unter denen derzeit 635 Kinder und Jugendliche in Salzburg außerhalb ihrer Familien betreut werden.
Wichtige Punkte
- Nach Missbrauchsvorwürfen im SOS-Kinderdorf fordert die Kija Salzburg verpflichtende Kinderschutzkonzepte.
- In Salzburg leben 635 Kinder und Jugendliche in externen Betreuungseinrichtungen.
- Jugendanwältin Johanna Fellinger verlangt bundesweit einheitliche Standards und eine bessere finanzielle Ausstattung.
- Die Kija plant, ihre Besuche in Wohngruppen zu intensivieren, um das Vertrauen der Kinder zu stärken.
Vorwürfe gegen SOS-Kinderdorf als Auslöser
Die aktuellen Diskussionen wurden durch Berichte über mutmaßlichen Missbrauch in Einrichtungen des SOS-Kinderdorfes ausgelöst. Besonders der Standort in Seekirchen (Flachgau) steht im Fokus, wo laut Medienberichten sechs Mädchen betroffen sein sollen. Ein ehemaliger Mitarbeiter, der bis 2019 dort tätig war, wird verdächtigt. Auch an Standorten in Kärnten und Tirol wurden Vorwürfe erhoben.
Die Organisation reagierte auf die Enthüllungen mit der Ankündigung, den Opferschutz zu verbessern. Geschäftsführerin Annemarie Schlack erklärte in einer Aussendung, es sei ihr „höchstes professionelles und auch persönliches Anliegen, dass so etwas in unserer Organisation nie wieder passiert“. Sie betonte, dass seit 2021 bereits viel getan wurde, aber offensichtlich weitere Maßnahmen notwendig seien.
Bestehende Schutzmechanismen
Das SOS-Kinderdorf verweist auf bereits existierende Strukturen wie Ombudsstellen für Opferschutz, eine interne Meldestelle für Kinderschutz und eine anonyme Whistleblowing-Plattform, die nach internationalen Standards eingerichtet wurde. Diese sollen Betroffenen und Mitarbeitern eine sichere Möglichkeit zur Meldung von Missständen bieten.
Die Rolle der Kinder- und Jugendanwaltschaft
Die Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg agiert als unabhängige und weisungsfreie Einrichtung, die parteiisch auf der Seite der Kinder und Jugendlichen steht. „Wir stehen parteiisch auf der Seite der Kinder. Diese geben die Richtung vor“, betonte Johanna Fellinger, die Leiterin der kija Salzburg. Ihre Organisation bietet allen jungen Menschen unter 21 Jahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe eine kinderanwaltliche Vertrauensperson als Ansprechpartner.
Fellinger erklärte, dass die kija von den konkreten Vorwürfen in Seekirchen erst aus den Medien erfahren habe. Dies unterstreiche die Notwendigkeit proaktiver und präventiver Maßnahmen. Um die Nähe zu den betreuten Kindern zu erhöhen, kündigte Fellinger eine Intensivierung der Besuche in den Wohngemeinschaften an.
„Acht Personen aus unserem Team von psychosozialen und juristischen Beraterinnen und Beratern werden demnächst wieder regelmäßig die Wohngemeinschaften besuchen.“
Dieses Angebot besteht in Salzburg bereits seit einem Jahrzehnt, wird nun aber neu strukturiert. Ziel ist es, jede Wohngruppe mindestens dreimal pro Jahr zu besuchen. „Dabei handelt es sich weniger um eine Kontrolle, sondern um ein Kennenlernen, damit die Kinder und Jugendlichen ein vertrautes Gesicht haben“, so Fellinger.
Kinder in Fremdunterbringung in Zahlen
Laut der Kinder- und Jugendhilfestatistik 2024 leben im Bundesland Salzburg 635 Kinder und Jugendliche außerhalb ihrer Herkunftsfamilien. Davon sind:
- 495 in sozialpädagogischen Wohngruppen
- 176 bei Pflegeeltern
Österreichweit waren es im selben Zeitraum 13.050 Kinder und Jugendliche.
Konkrete Forderungen für einen besseren Kinderschutz
Johanna Fellinger sieht das Land Salzburg und den Bund in der Pflicht, die strukturellen Ursachen zu prüfen, die Fehlverhalten in Betreuungseinrichtungen ermöglichen oder begünstigen. Sie verweist auf die UN-Kinderrechtskonvention und das Bundesverfassungsgesetz, die Kindern in staatlicher Obhut einen besonderen Schutzanspruch zusichern.
Obwohl das Budget der Kinder- und Jugendhilfe des Landes Salzburg kürzlich von 60,5 Millionen Euro (2023) auf 72,5 Millionen Euro (2024) aufgestockt wurde, hält Fellinger dies nicht für ausreichend. Sie formuliert klare Forderungen, um den Kinderschutz nachhaltig zu stärken.
Die zentralen Forderungen der kija:
- Angemessene Ressourcen: Sowohl öffentliche als auch private Träger der Kinder- und Jugendhilfe müssen mit adäquaten finanziellen Mitteln und ausreichend qualifiziertem Personal ausgestattet werden. Dies soll den Trägern mehr Spielraum geben, um individuell auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen zu können.
- Bundesweit einheitliche Standards: Es bedarf verbindlicher und österreichweit geltender Qualitätsstandards für die stationäre Kinder- und Jugendhilfe, um einheitliche Schutzmechanismen zu garantieren.
- Verpflichtende Kinderschutzkonzepte: Alle Einrichtungen sollen zur Erarbeitung und Umsetzung von Kinderschutzkonzepten verpflichtet werden. Diese müssen klare Prozessabläufe für den Umgang mit Beschwerden und Verdachtsfällen enthalten. Als Vorbild dienen Schulen, für die eine solche Verpflichtung seit dem Schuljahr 2024/25 gilt.
- Gesetzliche Verankerung: Die Funktion der kinderanwaltlichen Vertrauensperson soll gesetzlich festgeschrieben werden, um ihre Rolle und Unabhängigkeit zu stärken.
Fellinger schloss mit einem klaren Appell an die Verantwortung von Politik und Gesellschaft. „Kinderrechte sind nicht verhandelbar. Es ist die Pflicht von Politik und Gesellschaft, Strukturen so auszugestalten, dass Gewalt und Misshandlung weder begünstigt noch ermöglicht werden.“





