Seit über einem Jahrhundert existiert in Salzburg eine Eisenbahnstrecke, die das Potenzial hat, die Verkehrsprobleme der Stadt maßgeblich zu lindern. Die Stieglbahn, ursprünglich eine Güterbahn, verläuft durch dicht besiedelte Stadtteile und verbindet wichtige Knotenpunkte. Trotz wiederholter Diskussionen bleibt ihr Potenzial für den Personenverkehr bisher ungenutzt, während der Straßenverkehr zunimmt.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Stieglbahn ist eine seit über 100 Jahren bestehende Bahnstrecke in Salzburg, die derzeit nur für den Güterverkehr genutzt wird.
- Die Strecke führt durch wichtige Stadtteile wie Maxglan und Lehen und passiert den Flughafen, das Landeskrankenhaus sowie zahlreiche Wohn- und Gewerbegebiete.
- Experten und Bürgerinitiativen sehen in der Reaktivierung für den Personenverkehr eine Lösung zur Entlastung der überfüllten Straßen und zur besseren Anbindung des Flughafens.
- Die Fahrtzeit vom Flughafen zum Hauptbahnhof könnte auf nur sechs Minuten reduziert werden, was deutlich schneller ist als jedes andere Verkehrsmittel.
- Politische Uneinigkeit und fehlender Umsetzungswille haben das Projekt bisher verhindert, obwohl die Infrastruktur größtenteils vorhanden ist.
Eine historische Bahnlinie im Dornröschenschlaf
Die Geschichte der Stieglbahn reicht bis ins Jahr 1920 zurück. Ursprünglich als Großgmainer Bahn geplant, entwickelte sie sich zu einer wichtigen Schleppbahn für den Gütertransport in der Stadt Salzburg. Sie überstand zwei Weltkriege und versorgt bis heute Betriebe mit Waren, was den LKW-Verkehr reduziert.
Doch ihr ursprünglicher Zweck wurde durch den Bau des Flughafens im Jahr 1926 eingeschränkt, der einen Weiterbau verhinderte. Paradoxerweise schuf der Flughafen gleichzeitig einen der wichtigsten potenziellen Kunden für eine Personennahverkehrslinie – eine Chance, die bis heute nicht ergriffen wurde.
Vom Gütertransport zum Personennahverkehr?
Die Stieglbahn ist eine sogenannte „nicht-öffentliche Eisenbahn“. Das bedeutet, sie dient primär dem Güterverkehr für angeschlossene Unternehmen. Eine Umwidmung für den öffentlichen Personenverkehr würde eine Modernisierung der Strecke, den Bau von Haltestellen und die Integration in das bestehende Verkehrsnetz erfordern. Die Gleise selbst sind jedoch bereits vorhanden.
Das Potenzial für den modernen Stadtverkehr
Die Trasse der Stieglbahn verläuft mitten durch das Herz von Salzburgs westlichen Stadtteilen. Sie könnte eine direkte und schnelle Verbindung für Tausende von Anwohnern, Pendlern und Touristen schaffen. Die vorgeschlagene Route würde zentrale Punkte der städtischen Infrastruktur miteinander verbinden.
Mögliche Haltestellen und ihre Bedeutung
Eine reaktivierte Stieglbahn könnte an strategisch wichtigen Orten halten und so ganze Stadtviertel besser erschließen:
- Flughafen: Eine direkte Bahnanbindung würde die Attraktivität des Salzburger Flughafens enorm steigern und eine schnelle, staufreie Anreise ermöglichen.
- Landeskrankenhaus (LKH): Mitarbeiter, Patienten und Besucher könnten das größte Krankenhaus des Bundeslandes bequem mit dem Zug erreichen.
- Mülln-Altstadt: Eine Haltestelle in der Nähe des historischen Zentrums würde Touristen und Einheimische direkt an den Rand der Altstadt bringen.
- Wohn- und Schulzentren: Haltestellen in Lehen, an der Kleßheimer Allee oder der Siezenheimer Straße würden dicht besiedelte Wohngebiete und wichtige Schulen an das Schienennetz anbinden.
Fahrzeit von nur 6 Minuten
Eine der überzeugendsten Zahlen im Zusammenhang mit der Stieglbahn ist die geschätzte Fahrzeit. Ein Zug könnte die Strecke vom Flughafen Salzburg zum Hauptbahnhof in nur sechs Minuten zurücklegen. Zum Vergleich: Mit dem Auto oder Bus dauert diese Fahrt je nach Verkehrslage zwischen 15 und 30 Minuten.
Warum scheitert die Umsetzung seit Jahrzehnten?
Trotz der offensichtlichen Vorteile kommt das Projekt seit Jahren nicht über die Diskussionsphase hinaus. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen vor allem im politischen Bereich. Kritiker des Projekts führen hohe Kosten für die Modernisierung und den Bau von Bahnhöfen an. Zudem gibt es unterschiedliche Vorstellungen über die Prioritäten in der städtischen Verkehrsplanung.
„Es gehört eine gehörige Portion Ignoranz dazu, eine derartige Erschließung in der Stadt an fünf Bahnsteigen und 5 km Fahrleitung so dauerhaft scheitern zu lassen und dafür die Straßen zum Leidwesen der Bevölkerung zu überlasten“, argumentiert Georg Fuchshuber, ein langjähriger Beobachter der Salzburger Verkehrspolitik.
Während Befürworter auf die bereits vorhandene Infrastruktur verweisen, die einen Ausbau vergleichsweise günstig mache, konzentriert sich die Politik oft auf andere Projekte, wie etwa die Optimierung der Autobahn. Diese Maßnahmen bekämpfen jedoch oft nur Symptome, anstatt eine grundlegende Alternative zum Individualverkehr zu schaffen.
Ein Vergleich mit anderen Städten
Viele europäische Städte ähnlicher Größe haben erfolgreich bestehende Bahnstrecken in ihre Nahverkehrssysteme integriert. Beispiele aus Deutschland, der Schweiz oder auch anderen österreichischen Bundesländern zeigen, dass solche S-Bahn- oder Regionalbahn-Systeme die Lebensqualität erhöhen und die Umweltbelastung reduzieren.
Salzburg hat mit der Stieglbahn eine Infrastruktur, die andere Städte erst teuer errichten müssten. Die Trasse ist vorhanden, kreuzungsfrei und führt durch Gebiete mit hohem Fahrgastpotenzial. Die Nichtnutzung dieser Ressource wird von Verkehrsexperten zunehmend als strategischer Fehler in der Stadtentwicklung angesehen.
Ein konkreter Vorschlag zur Nutzung
Ein mögliches Betriebskonzept sieht vor, dass Regionalexpress-Züge (REX), beispielsweise aus Saalfelden oder Linz, über die Stieglbahn-Trasse zum Flughafen geführt werden. Von dort könnten sie im 30-Minuten-Takt weiter zum Hauptbahnhof fahren und dabei alle neuen Haltestellen bedienen. Dies würde nicht nur eine Aufwertung für die Stadtteile Maxglan und Lehen bedeuten, sondern auch den gesamten Pongau und Pinzgau direkt an den Flughafen anbinden.
Die Debatte um die Stieglbahn ist mehr als eine verkehrstechnische Fachdiskussion. Sie ist zu einem Symbol für die Frage geworden, wie Salzburg seine zukünftige Mobilität gestalten will: Setzt man weiterhin auf den Ausbau der Straßen oder nutzt man die Chance, eine über 100 Jahre alte Eisenbahnlinie zu einem modernen und effizienten Teil des öffentlichen Verkehrs zu machen? Die Antwort auf diese Frage steht nach einem Jahrhundert des Wartens immer noch aus.





